Der Ochs in seinem Lauf

Es lebte einst ein König in einem sehr fruchtbaren Land. Den machte nichts zufriedener, als dass er seinen Untertanen bei der Arbeit zusehen konnte.

Ein jedes Mal ging ihm das Herz auf, wenn er beobachtete, wie sie sich vom frühen Morgen bis zum späten Abend auf seinen Ackerflächen krumm buckelten. Und ganz traurig wurde er, sah er sie nach Sonnenuntergang müde von all der Plackerei nach Hause kriechen. Dann wünschte er sich nichts mehr, als sie auch des Nächtens bei der Arbeit zu wissen. Und so schenkte er einem jeden von ihnen ein Stückchen Land mit ein paar Rindern drauf, so dass ihnen nichts anderes übrigblieb, als nach getaner Arbeit für den König auch noch die eigenen Tiere zu versorgen und das Heu einzufahren. Sie taten‘s, alles in der Hoffnung, dereinst als Lohn für all die Mühe einen fetten Schinken schneiden und herzhaft hineinbeißen zu können. Der König spornte sie gerade noch mit den Worten »So wie ihr heute arbeitet, werdet ihr morgen leben« an, da verschied er plötzlich und ein neuer kam an die Macht.

 

Der war nun aber ganz anders als der alte. Der liebte das Lustwandeln und ließ seine Augen gern über den freien, unverstellten Blick der grünen Auenlandschaft schweifen. Dabei störte ihn alles, was zu sehr nach Arbeit aussah; und deshalb hieß er alle Untertanen, die Rüben aus den Äckern zu reißen und das Weidevieh zu vertreiben, denn vor allem die Rinder, quer über die königliche Flur wie Punkte auf einem Marienkäfer verteilt, waren ihm ein Dorn im Auge.

 

Oh, was ward den Bauern da das Herze schwer! So manch einer widersetzte sich anfangs noch, wollte doch niemand die Hoffnung auf einen satten Lebensabend vorschnell aufgeben. Als ihnen die Vasallen des Königs aber bald darauf einen viertel Taler vor die Nase hielten und versprachen, dass er ihnen gehören sollte, wenn sie nur ihr Vieh vertreiben würden, griffen sie zu. Schließlich hatten sie nie zuvor ein so glänzendes Geldstück zu Gesicht bekommen, geschweige denn besessen. Und so vertrieb einer nach dem anderen sein Vieh in alle Winde, und als der viertel Taler aufgebraucht war, schnürten sie ihr Bündel und hofften, anderswo ein Auskommen als Tagelöhner zu finden.

 

Nicht so Michael, der fromme Bauer. Auch der ließ gern seine Augen über die prachtvolle grüne Flur mit ihren welligen Auen und modrigen Sümpfen schweifen. Doch wusste er, dass Gott sie erschaffen hatte und kannte so den wahren Wert des Auenlandes. Und drum lehnte er erst den Viertel, später einen Halben und am Ende sogar einen ganzen Taler als Tausch dafür ab. Als der König das hörte, tobte er und befahl seinen Vasallen, dem Ungehorsamen zu verkünden, dass nicht nur sein Vieh, sondern auch er selbst geschlachtet würden, wären sie nicht binnen dreier Nächte für immer verschwunden.

 

Da ward dem frommen Michael gram ums Herz und guter Rat teuer.

 

In der Nacht ließen ihn die Sorgen nicht schlafen und er schlich kummervoll über seinen Hof. Als er sich kurz drauf, ohne sich erinnern zu können, wie er dorthin gelangt war, auf dem Weg zu seiner Weide wiederfand, sprach er zu sich selbst: »Wenn meine Beine mich nun hierhergeführt haben, so wird’s wohl an der Zeit sein, den Tieren Lebwohl zu sagen«. Dacht‘s und gewahrte plötzlich im Mondschein, am Rand des alten ausgetrockneten Flussbettes, vor sich ein krummes Häuschen. Nie zuvor hatte er es hier bemerkt und er schwor bei Gott, dass es bislang auch nicht dagestanden hatte. Erinnert hätt‘ er sich wohl daran, denn es war ganz und gar aus abgenagten Knochen von allerlei Getier gebaut. Und als ob das allein nicht schon für einen schauerlichen Anblick reichte, ragte obendrein ein riesiger Schädel über der Eingangstür, in dessen leeren Augenhöhlen Lichter grausige Schatten verbreiteten. Das angsteinflößendste aber waren ihm die Hörner. Rechts und links wuchsen sie wie zwei riesige Lanzen aus der Stirn des Schädels; mannshoch und dabei so geschwungen, dass er nicht wusste, was schlimmer wäre: von ihnen aufgegabelt, um in hohem Bogen von dannen geschleudert zu werden oder auf ihnen aufgespießt auf sein Ende warten zu müssen. Der fromme Michael wollt‘ nur fort, aber so oft er seinen Beinen auch befahl wegzurennen, sie taten’s nicht. Wie angewachsen hielten sie ihn vor dem Knochenhäuschen fest und er konnt‘ gerade noch darüber nachdenken, wem ein solch gewaltiger Schädel wohl einmal gehört hatte, als zu seinem Entsetzen plötzlich die Tür der Hütte mit einem eindringlichen, nicht zuordbaren Klappern aufging.

 

Da saß eine Alte am Feuer, bekleidet mit einem so kurzen Hemd, dass oben die hängenden Brüste und unten die welken Schenkel herausschauten. Schmatzend kaute sie mir ihren gelben Zähnen an einem riesigen Knochen, bis er ratzekahl abgenagt war, dann rülpste sie, steckte ihn sich zwischen die faltigen Lippen und lutschte an ihm wie an einem übergroßen Lolli. Dabei kroch ein modriger Gestank aus ihrem Mund, der bis zum frommen Michael drang, der in der Türe stand und gleichermaßen angewidert wie gebannt auf die Alte stierte. Die ließ den Knochen mittlerweile zwischen ihren Fingern um die eigene Achse kreisen; immer schneller; ganz wie ein Trommler seinen Schlegel. Dem frommen Michael war vom Zusehen schon ganz schwindelig, da hob die Alte plötzlich ihren Kopf und blickte ihm geradewegs in die Augen:

 

»Komm rein, lass mich auf dir spielen«, flüsterte sie. Und da ging er tatsächlich, ohne dass er es je gewollt hätte, durch die Tür hindurch und auf sie zu. Und sie nahm ihn sich wie ein Xylophon und begann auf ihm zu musizieren. Und erst da erschloss sich ihm, dass das Klappern, was er die ganze Zeit gehört, aber nicht hatte zuordnen können, von ihm selbst stammte. Es waren seine vor Angst schlotterten Beine, die die Alte jetzt mit ihrem knöchernen Trommelstock bearbeitete und denen sie eine wundersam ekstatische Musik entlockte, die immer wieder anschwoll und abebbte und ihn nach und nach beruhigte und so geschmeidig werden ließ, dass auch seine Beine ihm wieder gehorchten, er ihnen aber keinen Auftrag zum Wegrennen mehr geben wollte. Als die Musik schließlich ganz versiegt war, führte das Weib, das so hässlich, wie er vormals dachte, gar nicht war, zwei Hörner, die sie an einer Schnur um ihren dürren Hals trug, gleichzeitig an beide Nasenlöcher und blies hinein. Der Ton war sanft und bestimmt zugleich und machte das schwere Herz des frommen Mannes endgültig leichter; seine Zunge löste sich und im Schutz ihrer Achselhöhle begann er zu erzählen: »Ach, Weib, meine Rinder …, ach Weib, der neue König…, ach Weib, was soll ich nur tun.« Die Greisin hörte geduldig zu. Dann stand sie auf und brach zwischen all den Knochen und Gebeinen einen Hühnerschädel aus der Wand heraus. Den warf sie mit beschwörendem Gemurmel vor sich auf den Boden und plötzlich, der fromme Michael glaubte seinen Augen nicht zu trauen, wuchsen daraus Knochen und Fleisch, Flügel und Federn, bis schließlich ein ausgewachsenes Huhn gackernd vor der Alten stand. Und nachdem sich beide voreinander verneigt hatten, verwandelte es sich so schnell, wie es eben noch lebendig geworden war, wieder in einen leblosen Schädel. Den nahm die Alte und kochte eine Suppe draus. Der fromme Michael war sprachlos. »Iss!« sprach sie und schob ihm einen Teller hin. Und da spürte er, wie mit jedem Löffel die Angst aus seinen Knochen wich und einem nie gekannten Flattern in der Magengegend Platz machte. Das gefiel ihm und er rückte näher an die Alte ran. Als sein Teller leer war, traute er sich zu fragen: »Weib, was hat es mit dem riesigen Schädel über deiner Tür auf sich?« »Vom letzten Auerochsen stammt der« antwortete sie. »Stark war er und weise. Seine Sippe liebte das Auenland so wie du. Sie grasten schon hier bei mir, als die Berge gefaltet und die Meere getrennt wurden; waren aber nicht die einzigen, die hier leben wollten. Dinosaurier, Neandertaler, … viele begehrten das Land und der Kampf darum tobte. Die Auerochsen aber waren widerständiger als alle anderen. Sie blieben am Leben, denn«, sie schaute ihn eigentümlich lächelnd an, »ich lehrte sie, mit ihren Hörnern umzugehen«. Wieder spürte der fromme Mann das Flattern in seinem Bauch. Und als die Alte fortfuhr zu erzählen, rückte er noch näher: »In den letzten dreihunderttausend Jahren wurde der Kampf härter, man jagte die Auerochsen, bis nur noch einer von ihnen übrigblieb. Als er vor vierhundert Jahren starb, bat er mich: »Nimm meinen Schädel und koche dem, den du für würdig hältst, daraus eine Suppe. Mithin wird die Kraft meiner Sippe auf ihn übergehen. Erwehren können wird er sich dann gegen alles; dreihunderttausend Jahre lang.« »Seitdem«, schloss die Alte, »wart‘ ich drauf, dass so einer kommt«.

 

Der fromme Michael dankte im Stillen Gott, dass der ihn hierhergeführt, zeigte sich ihm doch gerade ein Weg, wie er den Vasallen des Königs trotzen und sein Vieh behalten konnte. »Ei, hier bin ich, so koch‘ doch mir diese Suppe!«, schlug er der Alten vor. Die aber erwiderte: »Alles zu seiner Zeit. Komm morgen wieder«.

 

In der nächsten Nacht stand die Tür zur Hütte schon offen. Und als die Alte ihn zu sich hereinzog, ließ er sie bereitwillig auf seinen Knochen spielen. Er sang und tanzte sogar zu der Musik, die sie seinen Gebeinen entlockte. Nachdem sie zum Ausruhen wieder in ihre Hörner geblasen hatte und sich dran machte, ihm eine zu Suppe kochen, frohlockte der fromme Michael: »Weib, bin ich heute würdig, die Kraft des Auerochsen zu empfangen?« »Alles zu seiner Zeit«, erwiderte sie und griff diesmal nach dem Schädel eines Keilers. Verdrießlich dachte er da: »Wenn das gerissene Weib den Auerochsenschädel für sich selbst behalten will, werde ich mir wohl anders helfen müssen«. Und so spitzte er die Ohren. Und diesmal verstand er, was die Alte beschwörend murmelte, als sie den Keilerschädel für eine Zeit zum Leben erweckte: »Scharva mangala mangalye!«. »Das will ich mir wohl merken« beschloss er, während er sich über die Suppe her machte. Doch beim Essen spürte er, wie mit jedem Löffel der Verdruss aus seinem Herzen wich und Saft und Kraft seine Lenden füllten. Und im Übermut nahm er da die Alte und wirbelte sie ausgelassen um sich herum. Das gefiel dem alten Weib, es lachte wie ein junges und der fromme Michael dacht bei sich: »So ist`s recht, wer die Weiber lachen macht, dem geben sie alles, morgen wird’s soweit sein.« Und mit kühlem Kopf und festem Schritt ging er nach Haus. Ungeduldig erwartete er die nächste Nacht.

 

Als die gekommen war, eilte er zur Hütte und stieg zur Alten. Begierig schüttelte er seinen Leib zu ihren Trommelschlägen und peitschte den Rhythmus diesmal so schnell voran, dass er noch außer Atem war, als sie schon einen Schädel für ihn suchte. Keuchend fragte er: »Weib, bin ich heute würdig, die Kraft des Auerochsen zu empfangen?« Sie aber schüttelte den Kopf und griff nach dem Schädel eines Hirsches. Da verengten sich seine Augen zu Schlitzen:

 

Wollt‘ sie ihn hinhalten? Sein Leben hing an diesem Schädel! Mit sich selbst überrennenden Stimme, den Kopf weit nach vorn geschoben, rief er: »Habe ich nicht alles gemacht, was du wolltest? Für dich getanzt, gesungen und unter deinen schwitzenden Achseln ausgeharrt? Ist das der Dank für all die Mühe?« Er riss die Tür der Hütte auf und deutete auf den Auerochsenschädel über dem Eingang »Den hier will ich!«. Sie aber entgegnete: »Alles zu seiner Zeit«.

 

Oh wie ihn der Zorn da packte! Wutentbrannt wandte er sich ab. Krachend schmiss er die Tür hinter sich ins Schloss; so wuchtig, dass etwas dabei nach unten sauste. Er schaute zurück. Und da lag, er konnte es selbst kaum glauben, zu seinen Füßen der Schädel des Auerochsen; er hatte sich aus dem Giebel gelöst.

 

Er triumphierte. Wenn das kein Zeichen war! Wie im Fieber langte er danach. Die Alte wollte ihn abhalten, er aber stieß sie von sich und schleifte den Schädel unter Aufbietung all seiner Kräfte mit sich fort.

 

Da schickte sie ihm einen Sturm, der sich gegen ihn stemmte, einen Regen, der von oben auf ihn eindrosch und das Wasser aus dem alten ausgetrockneten Flussbett, das ihm von unten an die Lenden stieg. Doch er trotzte den Gewalten, raste vorwärts und ließ den Auerochsenschädel nicht eher los, bis dass er ihn sicher zu Hause wusste. Dort warf er ihn so, wie er es bei der Alten vormals gesehen hatte, auf den Boden. Brüllend vor Erregung schrie er: »Scharva mangala mangalye!«

 

Ein ohrenbetäubender Lärm setzte ein und vier mächtige Beine schossen wie die Säulen eines Tempels aus dem Boden. Darauf erschuf sich wie von unsichtbarer Hand geführt ein stattlicher schwarzer Rumpf. Muskelstränge wie prall gefüllte Weinschläuche trugen den gedrungenen Nacken und dieser schließlich den Kopf, auf dem zwei aststarke Hörner wie eine mächtige Krone thronten. Der Auerochse stand vor ihm, welch majestätischer Anblick!

 

Stolz und wie im Rausch sah der ehemals fromme Michael auf sein Werk. Der Zauber war geglückt. Gleich würde das Tier sich vor ihm verneigen und alsbald wieder zum Schädel werden.

 

Doch nichts geschah. Es war still. Der Sturm hatte sich gelegt und außer dem Schnauben des Ochsen war nichts zu hören. Vielleicht begriff er nicht. Der ehemals fromme Michael hob gebieterisch die Hand: »Verneige dich, damit ich mir aus dir eine Suppe kochen kann und deine Kraft auf mich übergeht. Scharva mangala mangalye!«

 

Er wartete. Das Schnauben war schneller geworden und der Auerochse jetzt so dicht an ihn herangekommen, dass er seinen feuchtheißen Atem schon auf der Zunge schmecken konnte. »Verneige dich, Scharva mangala mangalye!«

 

Und da endlich schien er zu verstehen und senkte den Kopf. »Bin ich ein großer Meister!« dachte der ehemals fromme Michael gerade noch, da gewahrte er die auf Faustgröße aufgeblasenen Nüstern des Tieres. »Aus!« rief er, als der Ochse zudem bedrohlich mit den Hufen scharrte. »Werd` wieder Schädel! Scharva mangala mangalye!« Aber der Auerochse hatte andere Pläne: so eng wie ein verliebter Tangotänzer schob er den ehemals frommen Michael vor sich her, bis der schließlich mit dem Rücken an der Tür stand und weder vor noch zurück konnte. Jetzt nahm der Ochse Anlauf, setzte dafür einen Huf nach hinten und…

 

Geistesgegenwärtig schlüpfte da der ehemals from-me Michael zur Tür hinaus und schob den Riegel vor.

Der Boden bebte, als das Tier mit voller Wucht ge-gen die Tür donnerte. Es brüllte vor Wut und dem ehemals frommen Michael standen die Haare zu Berge. Er wusst` sich keinen Rat mehr; der Ochse gehorcht` ihm einfach nicht. »Es wird wohl das Klügste sein, wenn ich schleunigst das Weite suche«, sprach er zu sich selbst. Als er die Beine denn aber gerade in die Hand nehmen wollt`, kamen just in diesem Augenblick die Vasallen des Königs geritten. Denn es war unterdessen Morgen geworden und ein Unglück kommt selten allein.

 

»Hey da, stehenbleiben!« riefen sie und wetzten die Messer, »wir kommen, deine Rinder zu holen«. «Ei freilich, hier im Haus ist meine Herde! Nehmt sie nur mit!« entgegnete da der ehemals fromme Michael, den letzten Zipfel Hoffnung beim Schopfe packend. Ahnungslos öffneten die Vasallen darauf die Tür und wähnten sich freilich überrumpelt, als das monströse Tier wutentbrannt und mit nach vorn geneigter Stirn auf sie zu tobte. Sie glaubten gar, der Leibhaftige wäre hinter ihnen her und stoben schreiend nach allen Seiten auseinander, bis keiner mehr gesehen ward.

 

Der ehemals fromme Michael hätt` sich gern länger darüber gefreut, dass es ihm gelungen war, den Vasallen des neuen Königs ein Schnippchen zu schlagen! Doch blieb ihm dafür keine Zeit, denn der Auerochse wandt` sich nun ihm wieder zu. Da dacht` er, sich flugs ins Haus zu retten. Aber ach, was wünscht` er sich an einen anderen Ort, als ihm von dort ein zweiter Auerochse entgegenkam! Und dann ein dritter. Und ein vierter und als er keine Finger mehr zum Zählen hatte und auch die Zehen nicht mehr ausreichten, kamen dennoch immer mehr und mehr aus seinem Haus herausgaloppiert. Mit ihren Hufen brachten sie schon die Erde zum Beben, so viele waren es; und doch ward kein Ende in Sicht.

 

Was hatte er nur getan! Er rannte um sein Leben. Und mit ihm das ganze Königreich, denn die Auerochsen hatten sich schneller als der Wind über das gesamte Auenland ergossen. Und auch schon über das Land des Nachbarn zur rechten und das des Nachbarn zur linken, über das des Nachbarn im Süden und das des Nachbarn in Norden. Und weder Gottloser noch Frommer, weder Bettler noch König konnt` den Lauf der Ochsen aufhalten. Und so rannten alle vor ihnen fort.

 

Und wie der ehemals fromme Michael so lief, hörte er plötzlich einen vertrauten Ton, sanft und bestimmt zugleich. Der machte ihm das schwere Herz gleich leichter. Und als er sich umblickte, sah er, unendlich weit von sich entfernt, die Alte. Sie stand inmitten der rasenden Auerochsen und blies in ihre Hörner.

Augenblicklich hielten die Tiere inne, neigten ihr Haupt und es kam eine Ruhe über sie. Und da erhob sie ihre Stimme: »Danke, meine Getreuen, das Land gehört jetzt wieder uns.« Sprachs und ließ ihren Blick über die grüne Auenlandschaft schweifen.

 

Und so lebten sie glücklich und zufrieden, dreihunderttausend Jahre lang.

 

Und der ehemals fromme Michael? Den nahm

irgendwann ein Auerochse doch noch auf die Hörner und warf ihn hoch in die Lüfte. Bevor er von dort wieder Richtung Erde fiel, konnte er noch einmal das hügelige Auenland in seiner ganzen Schönheit überblicken. Dabei musst` er plötzlich an die welligen Schenkel der Alten denken. Und je näher er dem Boden kam, umso stärker wurde die Erinnerung an sie, vielleicht glich der modrige Geruch, den er Zeit seines Lebens so liebte, dem ihrem. Aber wer weiß das schon.

 

– ​​​​​​Ende –

Ramona Krönke

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